Die Geburt ist für ein Baby vermutlich genauso interessant und anstrengend wie ein Abenteuerpark mit Extrem-Survivaltraining für Anfänger. Die vergangen Wochen und Monate schwebte es im gemütlichen Spa Pool, es gab nicht wirklich viel zu tun. Hier und da mal etwas Boxen oder Treten, ansonsten meistens chilliges Schwangerschaftsyoga mit der Mama.
Plötzlich startet eine Kaskade an komplexen physiologischen Prozessen, damit das Neugeborene in der neuen Welt selbständig überleben kann. Der Fötus bereitet sich noch im Mutterbauch auf den Übergang vor, indem es unter anderem Hormone wie Adrenalin, Cortisol, Schilddrüsenhormone produziert, die es dem Neugeborenen ermöglichen, schnell einen stabilen Blutdruck, einen normalen Blutzuckerspiegel, eine geregelte Körpertemperatur aufrecht zu erhalten.
Denn jetzt passieren sehr bald zwei entscheidende Dinge: Die Nabelschnur wird gekappt und die Atmung setzt mehr oder weniger lautstark ein. Dazu verfügt das fötale Herzkreislaufsystem und Atemsystem über Verbindungen die es dem Fötus ermöglichen, das sauerstoff- und nährstoffreiche Blut der Nabelschnur und Plazenta zu umgehen. Kurz nach der Geburt, wenn das Neugeborene zu atmen beginnt, schließen sich diese vorherigen kardiovaskulären Verbindungen. Der Blutfluss zur Lunge wird schlagartig erhöht, weil der lebensnotwendige Sauerstoff ab sofort aus der Lunge kommen muss.
Was für das Baby jetzt auch ganz neu ist: während sich das Baby durch den Geburtskanal zwängt, wird es regelrecht einbalsamiert mit den Mikroorganismen der mütterlichen Vaginalflora. Dieser Vorgang ermöglicht die Übertragung einer Vielzahl von Mikroben. Ein Teil der mütterlichen Mikroben werden auch über die Schleimhäute und den Mund aufgenommen. Diese legen den Grundstein für die Entwicklung des eigenen Mikrobioms des Neugeborenen. Die Vaginalflora ist reich an nützlichen Bakterien, die eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung eines gesunden Immunsystems und der Regulation von Stoffwechselprozessen spielen.
Ein Kaiserschnitt kann den Kontakt des Neugeborenen mit der mütterlichen Vaginalflora verhindern. Dann erfolgt die erste Exposition des Babys mit Mikroorganismen durch den Kontakt in der neuen Welt mit der Haut, den Händen und der Umgebung. Studien deuten darauf hin, dass Kaiserschnitt-Kinder im Vergleich zu vaginal geborenen Kindern möglicherweise eine unterschiedliche Zusammensetzung ihres Mikrobioms aufweisen könnten.
Das in den ersten Lebenstagen etablierte Mikrobiom kann langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Ein gesundes Mikrobiom spielt eine große Rolle bei der Entwicklung eines starken Immunsystems. Es hilft bei der Aufnahme von Nährstoffen und der Prävention von Krankheiten und Förderung von Gesundheiten. Ein ungünstiges Mikrobiom kann mit verschiedenen Gesundheitsproblemen wie Allergien, Autoimmunerkrankungen und metabolischen Störungen, die zu Übergewicht führen können, einhergehen.
Angesichts dieser wichtigen Erkenntnisse versuchen Wissenschaftler das Mikrobiom von Neugeborenen zu unterstützen, vor allem wenn eine natürliche Geburt nicht möglich ist.
Verschiedene Verfahren werden dazu erprobt. Beim sogenannten Vaginal Seeding wird die Vaginalflora einfach auf ein Tuch abgestrichen und dem durch einen Kaiserschnitt Neugeborenen auf Nase und Mund aufgetragen. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob zum Beispiel die Menge der übertragenen Mikroben ausreicht.
Ein anderes Verfahren verfolgt die Idee, ob die nötigen Mikroben durch den Kot der Mutter übertragen werden können. Dabei wird eine kleine Menge Kot der Mutter labortechnisch aufbereitet und in die zuvor abgegebene Muttermilch eingerührt. Das Neugeborene bekommt dann Muttermilch mit Kot zum Trinken. Quasi schon der erste Kakao im Leben. Die Frage ist noch wie lange diese außergewöhnliche Kost gegeben werden muss und wie sich das auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Erste Studien sind zumindest vielversprechend.